Im Endeffekt der perfekte Fehler zur falschen Zeit.

Kati Thiele erzählt uns von ihren Erfahrungen als indisches Adoptivkind Tiroler Eltern. Was es mit dem perfekten Fehler zur falschen Zeit auf sich hat, könnt ihr hier nachlesen:

Dieser Artikel ist wohl das ehrlichste und persönlichste, was ich je in einem Beitrag zum Thema „Kinder bekommen“ verfasst habe. Ein öffentliches „nackt machen“, wenn man so will.

Kurz nach meinem 18. Geburtstag bin ich Mutter geworden. Meine Tochter war nicht geplant. Abtreiben war keine Option. Ich bildete mir ein, es schaffen zu können, denn- es gibt ja genug alleinerziehende Mütter die es auch schaffen- so mein Gedankengang. Dass ich eigentlich selber noch ein Kind war, war mir zu dieser Zeit nicht bewusst.

Dann der große Knall. Ich habe mir nach 1,5 Jahren eingestanden, das ich heillos überfordert war. Allein gelassen habe ich mich nur vom Kindsvater gefühlt. Familiäre Unterstützung hatte ich. Die brachte mir aber leider nicht viel – denn ich erwartete von dem Mann den ich liebte, dass er mich bedingungslos unterstützen würde. Dem war aber nicht so. Schließlich und endlich beschloss ich gemeinsam mit dem Jugendamt, meine Tochter in die Obhut meines Ex zu geben.

Ein Fehler?

Als ob die Demütigung und der Schmerz noch nicht gereicht hätten, wurde ich auch noch gesellschaftlich zerrissen. Dafür, dass ich eigentlich im Sinne meiner Tochter gehandelt habe und sie nicht vernachlässigt habe, sondern mein Bestes gegeben hatte und auch immer in ihrem Sinne gehandelt habe. Kurze Zeit später lernte ich meinen jetzigen Lebenspartner kennen. Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich nicht gedacht, dass wir so lange zusammenbleiben würden. Deswegen stellte sich die Frage, ob wir Kinder wollen, damals noch nicht. Um ehrlich zu sein hat mich der Gedanke noch ein Kind zu haben, nicht wirklich erfüllt. Ich hatte widerliche Schuldgefühle meinem Kind gegenüber.

Bis zu dem Tag als meine Tochter zu mir sagte: „Mama, wann bekomm ich denn von dir und Tom ein Geschwisterchen?“. Das war der Moment, in dem ich meine Schuldgefühle verlor. Dafür bin ich ihr sehr dankbar. Sie hat mir die Augen geöffnet und mir gezeigt, dass ich eigentlich keine Schuldgefühle haben muss. Kinder zu haben, Kindern ein gerechtes Zuhause zu geben, das erfordert meiner Meinung nach ein hohes Maß an Hingabe, Liebe und Aufopferung.

Deswegen ziehe ich meinen Hut vor jeder Mutter. Egal, ob alleinerziehend oder nicht. Aus heutiger Sicht sehe ich das Thema anders. Ich freue mich sogar, wenn ich irgendwann nochmal Mama werde, weil ich weiß das ich nun daran gewachsen bin. Ich bin heute reif genug, um mich dieser Herausforderung zu stellen. Eine Herausforderung, der ich damals nicht gewachsen war, aber ich konnte aus diesem vermeintlichen Scheitern lernen. Ich habe ein wunderbares Verhältnis zu meiner Tochter und irgendwann wird sie bestimmt ein Geschwisterchen bekommen.

Liebe Mädls, liebe (junge) Frauen: der Zeitpunkt wann es soweit ist, wird kommen. Und man muss auch nicht immer den traditionellen Weg gehen. Man darf auch gern mal aus der Reihe tanzen!  Denn wichtig ist, wie es für sich für einen selbst anfühlt. Wichtig ist, dass man sich selbst safe fühlt und glücklich ist.

 

Fremd im eigenen Land?

Kati Thiele erzählt uns von ihren Erfahrungen als indisches Adoptivkind Tiroler Eltern. Warum sie sich manchmal fremd im eigenen Land fühlt, könnt ihr hier lesen.

„Geh Kati, jetzt sagst ma aber, wo du bei uns fremd bist! Du bist doch da aufgewachsen und integriert! Das kann ich ma jetzt nicht vorstellen…“ Sätze wie diesen höre ich oft! Ja, das stimmt schon alles… Trotzdem bin ich fremd im eigenen Land.

Wie ich darauf komme?Als ich zehn Monate alt war, wurde ich von meinen Eltern, einem österreichischen Ehepaar aus Kitzbühel adoptiert. 1988 begann also meine Reise von einem fernen Kontinent ins wunderschöne Kitzbühel. Meiner künftigen Heimat. Damals war die Welt noch in Ordnung. Ich hab da ja noch nicht verstanden, wie manche Menschen so ticken. Als ich im Kindergarten war, habe ich relativ schnell gecheckt, das ich anders bin. Alle meine Freund*innen sehen anders aus. Ich bin die einzige die hier dunkel ist.

Früher dachte ich, es sei ein Fehler.

Und während Michael Jackson zu dieser Zeit für die Bleichung seiner Haut zerrissen wurde, konnte ich ihn gut verstehen.

Weiß sein. Dazugehören. Nicht mehr fremd im eigenen Land sein

Schlimm, nicht? Eine ca. Vierjährige, die sich wünschte, gleich auszusehen wie ihre Freund*innen Als ich in der Hauptschule war, fingen die Probleme an. Neger nannten sie mich. Sie erzählten Lügen, schlugen und bespuckten mich. Für das, was ich bin. „Schau du Neger, da kommt dein Bus der dich dahin bringt, wo du herkommst!“ Das waren die harmlosesten Floskeln dieser Kinder.Ich möchte sie gar nicht anders betiteln, denn schließlich waren sie Unwissende und  Heranwachsende, die es nicht besser wussten und wahrscheinlich heute auch noch nicht besser wissen. In meiner Jugend-Zeit änderte sich das plötzlich. Besonders das männliche Geschlecht fing an, sich für mich zu interessieren. Exotisch war also plötzlich wieder in.

 

Das findet ihr sexistisch, vielleicht auch rassistisch? Es geht noch besser!

Aufgrund meines „exotischen“ Aussehens werde ich oft für die Geliebte meines Vaters gehalten. Wobei ich sagen muss, dass das Gesicht der Verkäuferin, die mir das Produkt auf Englisch (!) erklärte, unbezahlbar war, als ich in meinem tiefsten Tiroler-Dialekt sagte: „Na, Papa, wos moanst gfoid da Mama?“ Viele, die ich in solchen Situationen mit ihren eigenen Vorurteilen konfrontiere, sind beschämt und verwirrt. Das kann man aus ihren Gesichtern ziemlich gut lesen.

Ihr seht also, ich nehme es mit Humor. Was ich nicht mit Humor nehme, sind die Menschen, die mich aufgrund meiner Herkunft (un)bewusst verurteilen. Diejenigen, die noch keinen ganzen Satz mit mir gesprochen haben, sich aber nicht von so einem „scheiss Ausländer“ bedienen lassen wollen. Das ist mir im Einzelhandel passiert. Nicht nur einmal. Diejenigen, die mich in Schubladen stecken und versuchen mich zu kategorisieren – sie ermüden mich nur noch.

 

Deswegen möchte ich abschließend sagen, dass es niemals verwerflich ist anders zu sein, sich rechtliche/psychologische Hilfe zu holen, die einem in solchen Fällen zusteht und dass man sich hier in Österreich nicht fremd fühlen muss! Es bedarf nur einer ordentlichen Portion Mut, um dem Fremdenhass die Stirn zu bieten.

Ich bin nicht fremd hier. Die Befremdlichkeit beginnt mit dem Gedanken daran, das etwas anders ist. Nach dem Motto: “ Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht.“

Und hier müssen wir ansetzen! Reden statt Vorurteilen! Hier müssen wir menschlich wieder Zusammenfinden – hier möchte ich mich wohlfühlen. Als Eurasier*in, als Salzburgerin/Tirolerin, als Östereicherin, als Mensch. Als das, was ich bin und wofür ich stehe.

Willkommen im 21. Jahrhundert

Willkommen im 21. Jahrhundert, ihr Trottel!

Kati Thiele erzählt uns von ihren Erfahrungen als indisches Adoptivkinder Tiroler Eltern. Diesmal geht es um Vorurteile, die sie erfahren musste.

Vor einiger Zeit wurde mir klar, in welch einer komischen Gesellschaft wir eigentlich leben.

Ich war mit meinem Freund auf einer Feier eingeladen, auf die ich mich eigentlich schon sehr gefreut habe. Dort angekommen fanden sich schnell potentielle Gesprächspartner mit denen man sich nett unterhalten konnte. Normal einfach. Nicht bei allen. Ich bemerkte einen Mann, der circa 40 Jahre alt war. Er und seine Freunde waren mir schon vorher aufgefallen, denn sie starrten mich die ganze Zeit an. Und als es mir eben bei diesem Mal dann zu dumm war sprach ich ihn an und fragte, was denn so außergewöhnlich sei das er so gaffte.

Als er mir dann antwortete, ich wäre ja so eine auffällige und nicht alltägliche Erscheinung wollte ich weitergehen, da hörte ich: „Ich habe mir jetzt erwartet dass du gebrochenes Deutsch sprichst. Warum redest du kein gebrochenes Deutsch? Du bist doch nicht von hier.“ Ich fragte mich, ob EurasierInnen nicht in Salzburg wohnen könnten, blieb aber freundlich, grinste ihn an und erklärte ihm, dass ich eine adoptierte Inderin bin, die in Tirol aufgewachsen ist.

Das hatte meinen Gesprächspartner offenbar überfordert. Was nicht verwunderlich war, fiel in dieser Unterhaltung doch auch tatsächlich der Satz

„und du hast so große Möpse, die springen einen ja förmlich an…“

Dass ich nicht lache! Weil wenn man als Frau Ausschnitt trägt, dann ist das ja die Einladung zum reingaffen- denn die springen einen ja an. Logisch oder?

Vorurteile? Braucht kein Mensch! Willkommen im 21. Jahrhundert!

Aber das ist ja kein Einzelfall. Ich glaube, ich könnte noch hunderte solcher Beispiele bringen. Aber ganz ehrlich? Es ermüdet mich. Es ist einfach so sinnbefreit! Warum kann man denn einen Menschen nicht einfach so annehmen wie er ist? Warum diese verschissenen Vorurteile? Und das Schlimmste- das starren!

Leute, bitte hört auf mich anzustarren. Ich bin keine Rarität oder armes Zirkustier das sein Dasein mit anstarren fristen möchte!

Ich bin ein Mensch. Wie du.

Ich atme die gleiche Luft wie ihr, ich esse (wahrscheinlich) das gleiche Essen wie ihr, ich habe einen Job, eine fundierte schulische Ausbildung und verdanke einem Paar aus Kitzbühel mein Leben! Ich bin seit fast dreißig Jahren in Österreich. Meiner Heimat. Dort wo meine Freunde und meine Familie wohnen. Ich bin also integriert. Habe mir nie was zu Schulden kommen lassen. Weil manche ja so über Integration schimpfen – „Ausländer wollen sich nicht integrieren Bla-Bla“ Immer wenn ich das hör, könnte ich kotzen!

Und trotzdem muss ich mir immer wieder die Frage stellen, warum es Menschen gibt, die so schnell urteilen. Wir haben als Menschheit offensichtlich nichts dazugelernt. Da bringt uns der ganze technische Fortschritt nichts, wenn wir trotz alledem hinterwäldlerische Hohlköpfe sind!

Hass. Vorurteile. Neid. All das nehme ich teilweise in meiner Umwelt wahr.

Nicht nur, dass ich angestarrt und angefeindet werde. Nein! Ich denke, dass fast alle etwas an sich haben, das andere verurteilen können. Sei es ein Leberfleck, eine Behinderung, die „falsche“ Kleidergröße/Kleidung, ein Tattoo, eine andere Haarfarbe oder was auch immer!

Wahrscheinlich weil sie selbst nicht zufrieden sind, und deswegen „Fehler“ bei anderen suchen. Ein Armutszeugnis.

Und um es mit den Worten von Georg Christoph Lindenberg ( 1742-1799, Deutscher Physiker- und Meister des Aphorismus) abzuschließen:

„Gesetzt den Fall, wir würden eines Morgens aufwachen und feststellen, dass plötzlich alle Menschen die gleiche Hautfarbe und den gleichen Glauben haben, wir hätten garantiert bis Mittag neue Vorurteile.”

 

Burnout

Ein Tag im Leben mit Burnout

Burnout ist ein heiß diskutiertes Thema: Was können Unternehmen tun, um diese Krankheit bei ihren Angestellten zu vermeiden? Anhand welcher Symptome kann man selbst ein Burnout früh erkennen? Fragen wie diese und Handbücher voller Vorschläge zur (Selbst-)Behandlung, Vermeidung und Reduzierung von Stressfaktoren existieren zu Genüge. Aber wie fühlt sich ein Burnout an? Uns hat ein sehr berührender und persönlicher Text erreicht, der versucht, diese Erfahrungen nachzuzeichnen.

 

Guter Tag:

Ich wache halbwegs erholt auf. Selbst wenn ich etwas Schlechtes geträumt habe, tangiert es mich nicht wirklich. Meistens mache ich Sport vor der Arbeit, bade oder dusche mich anschließend und habe Freude daran, mich zu schminken, mir schöne Klamotten rauszusuchen und mich anzuziehen. Vor allem zurzeit. Mit einer stattlichen Gewichtsabnahme kann ich doch wieder etwas figurbetontere Sachen anziehen. Dass das ein gutes Gefühl gibt muss ich ja niemandem erklären. Auf dem Weg in die Arbeit, meistens mit dem Fahrrad, bin ich energiegeladen und ein klein bisschen stolz darauf, aufgestanden zu sein, mein Sport-Soll erfüllt zu haben und den Tag in Angriff zu nehmen. Bäume ausreißen könnte ich in diesem Zustand! (Zumindest frisch gepflanzte)

In der Arbeit angekommen weiß ich meistens, was mich erwartet, was mir ein Gefühl von Sicherheit und Beständigkeit gibt. Ich versuche, als Praxis-Leitung meine Mädels gut zu unterstützen. Was immer mitschwingt ist die Angst, etwas nicht zu schaffen, mir ODER den Mädels zu viel zu zumuten, da ich für die Schäfchen verantwortlich bin. Oder mich zumindest verantwortlich fühle. Niemand, wirklich niemand sollte sich so fühlen, wie ich mich im Juli gefühlt habe. Daher ist Vorsicht geboten.

Aber die Stimme, die mich zweifeln lässt, ist an guten Tagen ganz leise. Nur ein kleines Surren.

Und wenn sie doch mal etwas lauter wird, weiß ich inzwischen sehr gut wie ich sie (an guten Tagen) wieder zum Schweigen bringen kann. Die Arbeitszeit verläuft, auch dank eines super Teams, meist reibungslos und die acht (oder öfter leider auch noch neun oder zehn Stunden) vergehen wie im Flug. Wenn ich mich auf eine bestimmte Arbeit konzentrieren klappt das ganz gut. Auch wenn es früher besser lief. Aber es ist wohl noch zu früh. Zu früh um mich mit der Zeit vor dem Burnout zu vergleichen. Sagt zumindest die Therapeutin.

Ich trete den Heimweg an. Manchmal hab ich sogar noch so viel Energie, die mir der gute Tag bringt, dass es mich noch überhaupt nicht nach Hause zieht. Ich gehe spazieren, meist durch den Park, der am Heimweg liegt. Ich atme tief, ruhig und kontrolliert. Zuhause begebe ich mich zu allererst in die Küche. Ich liebe kochen. Wenn ich ganz viel Elan habe, schiebe ich noch irgendwas zu backen hinterher.
Mein Tag endet gemütlich auf der Couch. Und schon ist der Tag wieder vorbei. Meist wurde viel gelacht und, was noch wichtiger ist: es wurde viel geschafft.
Es war ein guter Tag.

Schlechter Tag:

Ich wache auf, weit vor dem Wecker. Ob ich wirklich richtig geschlafen habe, kann ich nicht sagen. Das Einzige was drauf schließen lässt, dass es so was wie Schlaf war, sind die beschissenen Träume, die ich hatte. So richtig gemeine, miese, was ein furchtbares Gefühl hinterlässt. Ab welchem Zeitpunkt ein „schlechter Tag“ beginnt weiß ich nicht. Aber man hat das Gefühl, dass sich das schon mitten in der Nacht entwickelt. Irgendjemand hat entschieden, dass es mir heute schlecht geht. Naja. Muss man auch durch. Also steh ich sehr zügig auf. Denn je schneller ich aufstehe und den Tag hinter mich bringe, desto schneller kann ich wieder abends ins Bett. Außerdem kann ich nicht liegen bleiben. Die Gedanken, die mich innerlich so aufwühlen, drängen mich dazu aufzustehen.

Wenn ich länger liegen bleibe fange ich an zu weinen. Und das will ich vermeiden. Denn ich will meinen Partner nicht aufwecken und ihm wieder nicht erklären können warum ich traurig bin. Ich bin es aber. Manchmal schaffe ich es noch, Sport zu machen, in der Hoffnung, dass es mich aufheitert. Der Blick geht oft auf die Uhr. Steh unter Druck. Darf nicht zu lange für mein Training brauchen, sonst hab ich nicht genug Zeit fürs fertig machen. Zeit, die ich an schlechten Tagen so dringend brauche, da ich mich hässlich fühle. Da brauch ich also viel Make-Up – ergo viel Zeit. Nach dem Sport (wenn er denn statt gefunden hat) gehe ich duschen (nicht baden!).

Ich will mich nicht ansehen müssen.

Daher muss es schnell gehen. Wie schon erwähnt ist das schminken an einem schlechten Tag eher eine Bürde, ein Sache, die ich mir gern ersparen würde. Allerdings kann ich das den Mitmenschen nicht antun. Vor allem weil ich einfach aussehe wie krank. Was ich auch bin. Aber nicht so. Und darauf angesprochen zu werden, das will ich absolut vermeiden. Noch schnell weite schlabbernde Klamotten anziehen und dann los. Auf dem Weg zur Arbeit hör ich Musik. Muss die traurigen Balladen eigentlich vermeiden. Sie sind aber das Einzige, womit ich mich gerade identifizieren kann. Meistens verläuft der 7-minütige Arbeitsweg dann so, dass ich andauernd sämtliche Lieder nur weiter klicke. In der Arbeit verschwinde ich ganz schnell in mein Büro und hoffe, dass mich niemand anspricht. Weil ich einfach nicht weiß, wann ich wieder anfange zu weinen.

Ich will die Traurigkeit nicht über mich kommen lassen, nicht zulassen dass sie alles Gute in mir aufsaugt.

Daher versuche ich, mich mit Arbeit abzulenken. Das Konzentrieren fällt mir schwer. Ich fang immer wieder mit der selben Sache an. Das ärgert mich zusätzlich. Ich will nicht, dass es jemand merkt. Man muss doch als Leitung was leisten. An schlechten Tagen bin ich die absolute Fehlbesetzung. Das macht mich so traurig – zusätzlich. Noch mehr Traurigkeit. Na super. Die Mädels brauchen Hilfe. Ich versuche zu helfen, hoffe aber, dass ich schnell wieder allein bin. Ich versuche viel zu lächeln, wenn die Mädels in mein Büro kommen. Schauspielern kann ich inzwischen. Hilft aber auch. Man ist nicht man selbst. Schön, an so einem Tag. Der Fluchtimpuls ist ständig da. Ich will nach Hause. Es ist alles so mühsam: das Schauspielern, der Versuch mich zu konzentrieren, mich ständig mit mir selbst auseinander setzen zu müssen. Wenn jetzt noch was Unerwartetes, anderes passiert, bin ich aufgeschmissen. Damit kann ich nicht umgehen. Ich selbst koste mich doch schon alle Energie die ich habe. Also hoffe ich, dass alles seinen normalen geregelten Gang geht.

Die Zeit zieht sich wie ein Kaugummi und ich nehme mir nur stupide Arbeit vor, da ich nichts anderes schaffe. Anspruchsvolles traue ich mir im Moment nicht zu. Wenn ich wegen dem schlechten Tag jetzt auch noch weitreichende Fehler machen würde, würde ich mir das nicht verzeihen. Deswegen sortiere ich irgendwas, ordne Unterlagen neu, miste aus. Wenigstens das gibt mir ein einigermaßen gutes Gefühl, dass ich sichtbar etwas geschafft habe. Die Stimme, die mich an allem, vor allem an mir zweifeln lässt, ist aber so laut, das sie jedes noch so kleine gute Gefühl immer wieder zerquetscht und unterdrückt. Zwischenzeitliche Unterhaltungen mit den Mädels helfen, mich abzulenken, zuhören kann ich in dem Moment sehr gut. Es geht nicht um mich, das tut gut.

Irgendwann ist die Schicht dann doch mal vorbei und ich freue mich für einen kurzen Moment, dass ich es geschafft habe. Dann allerdings macht sich die Angst breit oder besser gesagt der Druck, dass ich ja jetzt noch kochen muss, evtl noch Sport machen muss, Mama anrufen muss, Haushalt schmeißen muss, wahrscheinlich wieder alleine Zuhause bin. Nur ich und meine Gedanken. Zuhause mach ich sofort den Fernseher an, damit ich mich nicht selbst höre. Ich bin antriebslos, möchte keinen Sport machen, will nicht kochen, will nicht essen. Ich weiß, dass es schlecht ist nicht zu essen, aber die Traurigkeit steht mir bis zum Hals. Der Druck schnürt mir die Luft ab… ich muss oft gezielt tief Luft holen, damit ich mir sicher bin, dass ich auch wirklich Luft bekomme. Irgendwie bekomme ich dann doch alles hin, meistens zumindest. Weil ich gelernt habe, trotzdem weiter zu machen. Ich gehe erst ins Bett wenn ich schon auf der Couch vor dem Fernseher eingeschlafen bin, sonst denk ich im Bett zu viel nach. Wenn mein Partner da ist, geht’s besser, aber das ist leider wegen seiner Arbeit nicht so oft der Fall. Jetzt nur noch hoffen, dass ich im Bett ganz schnell weiter schlafe. Die Gedanken sollen einfach nur aufhören. Nichts mehr denken, um den Tag zu vergessen.
Es war ein schlechter Tag.

 

Dieser mutige Erfahrungsbericht wurde uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt und die Verfasserin möchte anonym bleiben. Sie hat sich nach der Diagnose Burnout Hilfe geholt. Wenn auch du von Burnout betroffen bist oder glaubst, Symptome aufzuweisen, findest du hier Tipps. Sprich mit deinem Hausarzt bzw. deiner Hausärztin darüber, sie können dir sicher weiterhelfen. Burnout ist ein ernstzunehmender, gesundheitsgefährdender Zustand. Deine Gesundheit ist das Wichtigste, was du hast und du bist es wert, gesund zu sein. 

Feminsmus. Das Unwort, das Antiwort?

Dieser Artikel von Rebekka Mayrhofer erschien zuerst hier.

Feminismus. Das Unwort, das Antiwort, das sofort Bilder von brennenden BHs und von dogmatisch anmutenden Feministinnen in vielen von uns hervorruft. Diese Bilder, die mittlerweile ins Zentrum vieler Betrachter_innen gerückt sind, haben einen dramatischen und weitreichenden Effekt: Jene von uns, die sich kaum bis wenig mit der Thematik beschäftigt haben, lehnen die Bezeichnung „Feministin“ für sich grundlegend ab. Doch Feminismus bedeutet so viel mehr als diese ersten in vielen Köpfen aufsteigenden Bilder.

Es ist nicht mein Anliegen, anderen mit meinem Blogartikel zu erzählen, wie sie Feminismus verstehen sollen. Wofür ich mich aber ausspreche, ist, dass wir uns im Sinne der gemeinsamen Ziele auf einen Minimalkonsens einigen müssen (den Terminus betreffend), der allein auf das, was wir erreichen wollen, abzielt.

Kurz gesagt bedeutet Feminismus, dass alle Angehörigen verschiedener Geschlechter gleichberechtigt agieren und existieren.

Feminismus bedeutet für mich nicht etwa, dass ich mich als Frau dafür oder dagegen entscheide, einem gut bezahlten Beruf, der mich erfüllt, nachzugehen, oder ein “stay at home parent“ zu sein. Feminismus bedeutet für mich aber, dass ich diese Entscheidung gleichberechtig mit einem Mann treffen kann (und  im Idealfall sogar mit ihm aufteilen). Feminismus bedeutet im Umkehrschluss auch, dass ein Mann diese Entscheidung gleichberechtig mit einer Frau treffen kann.

 

Eine Beobachtung des Status quo:

Die Feminismusdebatte ringt den meisten nicht einmal mehr ein müdes Lächeln ab. Der dominante Diskurs hat nämlich dazu geführt, dass sich kaum jemand, der nicht „sensibilisiert“ ist, mit Feminismus beschäftigen will. Dies spielt den offenkundigen Gegner_innen in die Hände, die den Diskurs in eine Richtung lenken, die von vielen kaum mehr hinterfragt wird (außer von den ohnehin „sensibilisierten“ Personen“). Ich behaupte, frau kann Feministin sein und trotzdem ihren BH lieben! Worum es geht, sind gerade eben nicht Formen, sondern Inhalte.

Gleichberechtigung der Geschlechter ist etwas, das im 21. Jahrhundert längst selbstverständlich sein sollte. Die Diskussion darüber, ob Feminismus nun etwas Gutes oder Schlechtes ist (an alle „Sensibilisierten“ da draußen: ja, diese gibt es), sollten wir somit hinter uns gelassen haben. Feminismus ist vor allem eines: Gleichberechtigung aller.

Dies bezieht sich auf Möglichkeiten und Rechte:

Emma Watson sagte in ihrer hervorragenden Rede vor der UN General Assembly, dass Männer sich nicht dafür schämen müssen, Gefühle zu zeigen und Sheryl Sandberg (Chief Operating Officer Facebook) sagt, auch Männer sollten die selbstverständliche Möglichkeit haben, sich für eine Karriere als „stay at home parent“ zu entscheiden.

Bis heute werden erfolgreiche Frauen als unsympathisch wahrgenommen. Bis heute wird von vielen Frauen erwartet, ihre Karriere zu Gunsten ihres Mannes und ihrer Kinder aufzugeben; bis heute werden Frauen auf ihre Erscheinungsmerkmale reduziert; bis heute ist es Frauen ein größeres Anliegen, zu gefallen; bis heute wird Frauen in noch viel zu vielen Ländern der Zugang zu Bildung verwehrt; bist heute sind Frauen Opfer von häuslicher und sexueller Gewalt; bis heute werden Frauen unterdrückt.

Mit diesem Artikel kann ich daran, dass diese Dinge passieren, nicht viel ändern. Ich frage mich jedoch, ob nicht wenigstens wir, die wir so privilegiert sind, dass wir endlose Debatten über die unterschiedlichen Facetten des Feminismus führen können, damit beginnen sollten, gemeinsam für den Feminismus einzutreten, anstatt Teilbereiche zu diskutieren.

Sollten wir nicht mit Begeisterung verkünden, Feminist_in zu sein und uns somit für Gerechtigkeit, gegenseitige Wertschätzung und Solidarität aussprechen? Warren Buffet hat einmal behauptet, unter anderem deshalb so erfolgreich zu sein, weil er nur mit der Hälfte der Bevölkerung im Wettbewerb steht – nämlich nur mit den Männern.

Um den Feminismus voranzutreiben, muss diese Hälfte der Bevölkerung aktiv in den Diskurs miteinbezogen werden. Denn Feminismus kann nur funktionieren, wenn Angehörige beider Geschlechter sich für Gleichberechtigung einsetzen. Männer mögen zwar in vielen vor allem materiellen Bereichen bevorteilt werden, doch in jenen Dingen, die eine unsichtbare Sphäre bezeichnen, sind sie es nicht. Allein nämlich schon das Primat des Materiellen ist die Folge einer noch immer dominierenden patriarchalischen Sichtweise auf die Welt und das Leben.

Bis heute haben mehr Männer als Frauen Scheu, ihre Gefühle zu zeigen; bis heute werden Männer in ihrer Rolle als Vater weniger Ernst genommen; bis heute können Männer sich kaum dafür entscheiden, ein „stay at home parent“ zu sein; bis heute ist äußerer Erfolg die Maßeinheit, die zur Bewertung von Männern herangezogen wird; bis heute werden Männer,sind sie Opfer sexueller Gewalt, weniger ernst genommen; bis heute wird häusliche Gewalt gegen Männer ebenso als Tabuthema behandelt (wie hoch da nun der statistische Anteil ist, spielt für den jeweiligen Einzelfall keine Rolle).

Viele grundsätzliche Probleme sind verbunden mit Erwartungen und Vorurteilen, die wir in uns tragen. Diese Vorurteile sind es, die uns in unserer persönlichen Entwicklung einschränken. Feminismus muss als ein Anliegen, das uns alle betrifft, in der Mitte der Gesellschaft ankommen und auch der Gesetzgeber muss sich dessen endlich bewusst werden.

Die Gleichstellung von Männern und Frauen kann nicht nur durch Worte erfolgen.

Wie in so vielen Fällen müssen auf Worte Taten folgen.

Wir, alle Mitglieder der Zivilgesellschaft haben das Recht und die Verantwortung uns für Feminismus und Gleichberechtigung einzusetzen. Wer Gleichberechtigung und Toleranz fordert, muss aufhören, den anderen mit einem Etikett zu versehen.

Vorurteile und Meinungen, die an uns aufgrund unserer Erscheinung herangetragen und angelegt werden, gilt es zu hinterfragen und zu brechen; widersprechen sie doch einem liberalen Weltbild. Es ist höchste Zeit damit zu beginnen.

 

 

Köln Arne Müseler

Was bleibt von der Silvesternacht in Köln?

Über sexuelle Gewalt und rechte Doppelmoral.

Wir erinnern uns alle an die schrecklichen Vorkommnisse der Silvesternacht 2016 in Köln und anderen Städten, in der über 150 Tatverdächtige Frauen sexuell belästigt, gedemütigt und bestohlen haben. Der mediale Aufschrei war groß, ebenso jene von rechten Gruppierungen wie der FPÖ und AfD.  Die Vergehen wurden für rechte Stimmungsmache instrumentalisiert, man müsse „unsere Frauen“ schützen.

Das engstirnige und vorurteilsbehaftete Bild des barbarischen, vom Sexualtrieb gesteuerten arabischen Mann prägte viele Diskussionen.

Dass dabei in erster Linie über und nicht mit den Opfern dieser Übergriffe einerseits, sowie mit „dem Feindbild“, also männlichen Geflüchteten, andererseits gesprochen wurde, überrascht wenig. Dass sexuelle und sexualisierte Übergriffe von Einheimischen auf einheimische Frauen ebenso verübt werden, wurde in diesem Diskurs meist ausgeblendet.

Die rechtsnationale FPÖ reagierte entsprechend: „Willkommensklatscher sollen umdenken“, „importierte Kriminalität“ und „Ausgangssperre für Asylwerber“.[1] Vor allem jene, die sich letztes Jahr noch vehement gegen die Erweiterung des Strafrechts um den sogenannten „Po-Grapsch-Paragrafen“ - der den Tatbestand der sexuellen Belästigung weiter fasst als zuvor – gewehrt haben, wurden dadurch die selbsternannten Frauenrechtler. Dass es in Deutschland derzeit überhaupt keine strafrechtlichen Möglichkeiten zur Verfolgung sexueller Belästigung und unerwünschten Berührungen bei Erwachsenen gibt, wurde meist ausgeblendet. Der öffentliche Konsens schien zu sein: „Wir müssen unsere Frauen schützen!“ Wer damals schon befürchtete, dass die Diskussionen wenig zur Verbesserung von Opferschutz und einer senisbilisierteren Wahrnehmung beitragen würden, wurde als linkslinke Emanze abgetan, die die Augen vor der Realität verschließe.

Nun ist mit Gina-Lisa Lohfink eine „unserer“ Frauen betroffen.

Gina-Lisa_Lohfink_by_Zeno-BressonSie wurde augenscheinlich von zwei Männern außer Gefecht gesetzt, die den unvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit ihr filmten und ins Internet stellten. Solidaritätsbekundungen der breiten Öffentlichkeit? Ein Aufschrei nach erhöhten Sicherheitsmaßnahmen in Diskotheken? Das Verlangen nach höheren Strafen und einem verbesserten Opferschutz vor der Öffentlichkeit? Fehlanzeige. Leider ist dies auch nicht überraschend, die Täter sind schließlich keine Asylwerber oder Migranten.

Stattdessen wird die junge Frau öffentlich gedemüdigt und ihr das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung kollektiv aberkannt: „barbusig“, „Skandalnudel“, „blondes Wunder“, sind keine seltenen Ausdrücke in der Berichterstattung zum  Video, in dem Gina Lisa mehrmals „Nein“ und „Hör auf“ sagt. Sowohl der Großteil der Medien als auch jene, die sich wortwörtlich über Nacht selbst zu Feministen ernannt haben, entlarven sich selbst in ihrer Scheinheiligkeit: Kein Wort über strafrechtliche Verschärfung von Sexualdelikten, Opferschutz oder bessere Betreuung nach Übergriffen. Hier geht es nicht darum, die Arbeit der Justiz in Frage zu stellen, sondern um die Art und Weise, wie in der Öffentlichkeit über solche Fälle geredet wird. Es scheint, als gäbe es eine Hierarchie der Feindbilder, bei der Asylbewerber ganz oben stehen, gefolgt von Frauen.

Rechte Doppelmoral.


Diese Abscheulichkeit im öffentlichen Diskurs hat zwei Gründe: Tatsächlich haben rechte Gruppierungen wie FPÖ und AfD keinerlei Interesse daran, Frauen zu schützen. Dies zeigt sich neben den fragwürdigen öffentlichen Auftritten auch in den Parteiprogrammen und dem politischen Bekenntnis zu Frauen, die darin im Idealfall nur in Zusammenhang mit Kindererziehung, dem Gebären und dem Haushalt vertreten sind. Das dürfte spätestens mit einem kürzlich aufgetauchten und sofort wieder entfernten Video eines FPÖ-Funktionärs klar geworden sein, in dem er sich an „die Herren Asylanten“ richtet und ihnen anhand einer Schaufensterpuppe erklärt, was sich in Österreich nicht gehört, denn „"Was man bei uns bestimmt nicht macht, ist beispielsweise in einer Diskothek Frauen zu bedrängen, ihnen an den Po zu fassen oder gar an den Busen zu fassen".[2] Dass sich diese Botschaft ausschließlich an männliche Asylbewerber richtet, ist keine Überraschung.

Der weitere Grund liegt darin, dass Frauen in weiten Kreisen nach wie vor keine sexuelle Selbstbestimmung zugesprochen wird. Man könnte an dieser Stelle bereits über den Ausdruck „unsere Frauen“ diskutieren, aber das ginge zu weit. Es geht vielmehr darum, wie Frauen in der Öffentlichkeit bewertet werden: Wer mit wenigen Männern Sex hat, ist eine alte Jungfer, wer mit vielen Männern Sex hat, eine Schlampe. Ebenso verhält es sich mit Kleidung: Wenig Haut wird als prüde bewertet, aber man darf ja nicht zu viel zeigen, sonst wirkt man billig.

So auch im Fall Gina Lisa: Einer Frau wird das Recht auf sexuelle Selbtsbestimmung, auf ein „Nein“ abgesprochen, weil ihr öffentliches Image von der Gesellschaft als „billig“ und „frei verfügbar“ gewertet wird. Und plötzlich sind jene, die sich nach Köln vor Solidaritätsbekundungen und Forderungen nach harten Strafen förmlich überschlugen, ganz still.

[1] http://www.fpoe-stmk.at/news-detail/fpoe-kunasek-ausgangssperre-fuer-asylwerber/
[2] http://kurier.at/politik/inland/fpoe-video-finger-weg-von-unseren-frauen/202.159.566/

Foto (Köln): Arne Müseler
Foto (Gina-Lisa Lohfink, Mallorca 2011): Zeno Bresson